Reportage: Wie Fiat am Vulkan Ätna Autos testet

Manche mögens richtig heiß

[10.05.2007] Auto-News

Zwei Straßen führen hinauf auf den Ätna. Die eine schraubt sich von Süden auf Siziliens legendären Vulkan, die andere von Norden. Beide erreichen nahezu von Meereshöhe nach knapp 20 Kilometern Steilstrecke die 1.986 Meter hoch gelegene Bergstation. Zwei Mal fast 2.000 Meter Höhenunterschied – eine Tortur für Motor, Getriebe und Bremsen.

Sonne brennt unerbittlich

Und für die Klimaanlage, vor allem wenn im Sommer die Sonne unerbittlich auf die italienische Mittelmeerinsel herunterbrennt und das Thermometer auf beinahe 50 Grad klettern lässt. Dann flimmert die Luft über dem rauen Asphaltband, das sich durch riesige Felder schwarzer Lavabrocken und knöcheltiefer Vulkanasche windet – stumme Zeugen der letzten Ausbrüche des Ätna. Im Bereich des Gipfels gleicht die Landschaft der Mondoberfläche.


Diese unwirtlichen Rahmenbedingungen machen den Ätna und seine Umgebung zum idealen Erprobungsgelände für Autos. Fiat unterzieht hier regelmäßig die Prototypen zukünftiger Fahrzeugmodelle ausführlichen Hitzetests. Gegensätze bestimmen das Versuchsprogramm. "Wir fahren beispielsweise im ersten Gang mit maximaler Anhängelast im Schneckentempo den Ätna hinauf", beschreibt Nevio di Giusto, Entwicklungschef der Business Unit Fiat und Lancia. "Dabei testen wir, ob das Motorkühlsystem auch extreme Belastungen einwandfrei aushält, wenn praktisch kein Fahrtwind über die Kühler streicht. Außerdem wollen wir wissen, wie gut Getriebe und Motornebenaggregate mit der Hitze fertig werden."

Auch wenn sie es offiziell nicht zugeben würden: Mehr Spaß macht den Testfahrern das möglichst schnelle Erklimmen des Ätna unter Ausnutzung von Höchstdrehzahlen oder die Abfahrt mit Vollbremsungen aus hohem Tempo vor jeder Kehre. Nur ein thermisch gesunder Motor und ausreichend gekühlte Bremsen überstehen derartige Beanspruchungen ohne Ausfallerscheinungen.

Streng geheim - Flucht vor der Presse

Die Versuchsfahrer haben sich daran gewöhnt, gelegentlich gestrandeten Touristen-Fahrzeugen "Erste Hilfe" zu leisten. Wenn sie mit ihren meist getarnten, noch geheimen Vorserien-Fahrzeugen nicht gerade versuchen, den Erlkönig-Fotografen der internationalen Automobilpresse aus dem Weg zu gehen.


Dem Wirkungsgrad von Klimaanlagen sind die Techniker ein paar Kilometer weiter auf der Spur. Die Ebene rund um Catenanuova ist eine der heißesten Gegenden Europas. Getreidefelder reichen bis zum Horizont, dazwischen liegen mit künstlicher Bewässerung gegen die unerträgliche Hitze gewappnete Zitrusfrüchteplantagen. Wenn die Testfahrer ihre Versuchsobjekte in der Mittagspause absichtlich in der prallen Sonne abstellen, erinnert das Fahrzeuginnere schon nach kurzer Zeit an eine Sauna.
 
Die Cockpittemperatur klettert über 70 Grad, auf dem Karosserieblech könnte man Eier braten. "Wir beobachten, wie sich die Bauteile des Fahrzeuges unter dieser enormen Hitzeeinwirkung verhalten", beschreibt Nevio di Giusto. Quellen Kunststoffelemente auf? Bilden sich Risse in Holzverkleidungen? Entwickeln sich im stark aufgeheizten Cockpit unangenehme Gerüche?
"Außerdem messen wir anschließend", erläutert Di Giusto, "wie lange die Klimaanlage braucht, um den Innenraum auf angenehme Werte herab zu kühlen." Dazu sind die Testfahrzeuge mit unzähligen Temperaturfühlern gespickt. Im Fußraum, hinter der Cockpitverkleidung, direkt unter dem Dach – überall registrieren Sensoren die Temperatur und melden sie über scheinbar wahllos durch das gesamte Fahrzeug gezogene Kabel an eine zentrale Datenaufzeichnung auf der Rücksitzbank weiter. Noch vor Ort können die Versuchsingenieure die Messergebnisse auf tragbaren Computern auslesen und bei Bedarf die Steuerung von Klimaanlage und Belüftungssystem neu programmieren.

Den Vulkan rauf und runter

Danach heißt es für Testfahrer: Noch einmal auf den Ätna und wieder hinunter. Noch einmal über die Autobahn quer über die Insel oder im Stop-and-go-Verkehr durch die Innenstadt von Nicolosi. Unzählige Male ändern die Ingenieure die Software, bevor der nächste Fiat reif ist für die Serienproduktion. "Mehr Knochenjob als Traumberuf", charakterisiert Maurizio Barontini, Leiter des Fahrversuchs bei Fiat, dann auch die Arbeit seiner Mannschaft. Im Hochsommer verbringen rund ein Dutzend Ingenieure, Techniker und Fahrer mehrere Wochen im Glutofen Sizilien.

Viele fahren die rund 1.700 Kilometer aus der Fiat Heimat Turin auf der Straße hierher. "Dann sind die Versuchsautos gleich gut eingefahren", begründet Barontini. Auf Sizilien kommen noch einmal Tausende von Kilometern hinzu. Doch für die landschaftliche Schönheit der Insel haben die Techniker selten Zeit. "Wer von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang bei diesen Temperaturen im Auto sitzt", sagt Barontini, "der leidet genauso wie die Testfahrzeuge".